Kontakt findet an den Grenzen statt.

(Dagmar Misselhorn / Mai 2009 – Texte zur eigenen Arbeit)

In meiner künstlerischen Arbeit interessiert mich insbesondere die Grenze als solche und alle mit ihr verbundenen Phänomene, angefangen mit der rein territorialen über sachlich begründete Begrenzungen bis hin zur körperlichen und geistig-seelischen Grenzsituation: die Grenze als Linie, als Verlauf, als Raumzone, als eine aus der Materie oder als eine willkürlich entstandene Trennung, als Bedingung, als Vorraussetzung, als Fakt, als Wunsch, als Freiheit, als Schutzvorrichtung – als ein Ort, an dem und in dem ganz viel passiert, im Lauten wie im Stillen, und der letztlich die Funktion hat, das eine von dem anderen mehr oder weniger deutlich zu unterscheiden. Die Grenze kann sich auszeichnen durch etwas allgemein Verbindliches, durch etwas sehr individuell Geprägtes, aber auch durch ihre Abwesenheit. Hier erweitert sich mein Thema auf die Erforschung der die Grenze beschreibenden äußeren, sichtbaren Struktur und der die Grenze bedingenden inneren, unsichtbaren Struktur. Das Beobachten, Begreifen und Zu- und Einordnen beider Erscheinungen sowie das Erforschen ihrer Wechselwirkung ist ein wesentlicher Bestandteil meiner Arbeit.

In der oben beschriebenen Thematik bewege ich mich seit vielen Jahren überwiegend in einem freiwillig begrenzten Raum, nämlich der Malerei auf einem sich an der Wand befindenden Bildträger. Diese bewußte Einschränkung meines Handlungsspielraums und meiner ästhetischen Freiheit beruht auf einer Entscheidung für die Konzentration gedanklicher und handwerklicher Energie auf kleinstem Raum.

In den letzten sieben Jahren finden sich auf meinen Bildern seltener Gegenstände oder eindeutig Benennbares. Fast immer entwickelt sich die Bildarchitektur in der Gegenstandslosigkeit aus der Grenz-Wertigkeit der Farbe heraus, mit besonderer Konzentration auf das Farbspektrum von Rot (Rot, Grün; siehe auch: Texte/ Rot). Durch das Aufschichten halbtransparenter immer wieder variierter Farbformen (Lasuren von Eitempera- und Ölfarben) verdichtet sich das Bild in einer stark reduzierten Formsprache, die bei genauer Betrachtung äußerst differenziert und kleinteilig daherkommt. Mit jeder neuen Schichtung (bis zu 30 Lasuren) werden somit alte Begrenzungen bestätigt, in Frage gestellt oder ausgelöscht, auf jeden Fall immer wieder neu aus sich selbst heraus definiert; solange, bis der Blick von innen nach außen (Analyse der inneren Struktur, des inneren Auftrags) mit dem Blick von außen nach innen (Beobachter) übereinstimmt.
In den letzten zwei Jahren rückt der gegenständliche, insbesondere der narrative Aspekt der Grenz- und Strukturerforschung vermehrt in den Vordergrund (Blau, Fremd+Eigen). Das begründet sich z. T. mit Ermüdungserscheinungen bezüglich der Untersuchungen im FarbForm-Spektrum, erklärt sich aber im wesentlichen aus einer inhaltlichen Verschiebung der Bedeutung von Grenze und Struktur. Die Geschichten, die ich „erzähle“ (z. B. watchman’s nightmares), erfordern das Beziehen einer eindeutigeren Position und eröffnen wenig Möglichkeit, in die Abstraktion von Form und Farbe auszuweichen. Anknüpfend an den Zyklus – Africa. burn down Babylon. (Archiv) – beschäftigt mich hier der Aspekt der menschlichen Erfahrung mit der tatsächlichen Auflösung von Grenzen und Strukturen und deren vielfältigen Folgen von Ausgrenzung, Entwurzelung, Zerstörung und Neudefinierung in bezug auf Raum, Körper, Geist und Seele. Die malerische Kompetenz der Farb-Form Lasurtechnik wird hierbei weitgehend übernommen. Das Benennen, Schichten, Durcheinanderwerfen, Erfinden und Sortieren von erkennbaren Gegenständen, hier insbesondere eine schablonenhaft von Afrikanern innerhalb der afrikanischen Kultur – teilweise in Reaktion auf das Einbringen westlich orientierter Wertvorstellungen und Industriegüter – entwickelte Formensprache wird vorbehaltlos als Bedingung in den Kanon der eigenen malerischen Sprache eingebracht. Hier öffnen sich begrüßenswerte Möglichkeiten der Infragestellung von Eingefahrenem, sowohl im Umgang mit Farbe und Form, mit Inhalten als auch mit der äußeren Form des Bildträgers.

Mein nächster größerer Schritt der Grenzverschiebung befindet sich gegenwärtig im Prozeß der Entwicklung. Formal betrachtet geht es hierbei um das Öffnen einer weiteren Dimension: auf die Schichtung der Farbe, die daraus resultierende Architektur der Form und die Erweiterung dieser Formenwelt durch die Gegenständlichkeit folgen nun laufende Bilder (Film), projiziert auf die sich nach wie vor an der Wand befindende Malerei. Film und Malerei bleiben hierbei sowohl formal als auch inhaltlich den zuvor beschriebenen Kriterien treu: das laufende Bild, welches sich über das fest definierte bewegt, greift das Prinzip der erfundenen und wirklichen Grenzverschiebung und Grenzverortung durch Schichtung verschiedener Ebenen auf (Lasurmalerei und Filmbilder); beide bedingen sich gegenseitig, sind also ihrer Wechselwirkung, den Gesetzen ihrer inneren und äußeren Strukturen und ihren Bildinhalten unterworfen. Zusätzlich öffnet sich die Zeitdimension (Erzählen einer Geschichte in Zeitabläufen) und verändert damit den erstarrten Moment eines gemalten Bildes. Solange die bewegten Bilder sich in den Grenzen des unbewegten befinden, steht der Moment der Irritation (Malerei, die sich „bewegt“,) im Vordergrund. Auch ist hierbei auszuloten, inwieweit dieser Moment der Irritation des Rezipienten als dessen eigenes Erleben von Grenzverschiebung mitgenutzt wird. Sollten die bewegten Bilder über das Unbewegte hinauswachsen, stellt sich die Frage eher inhaltlich, auch gegenständlicher und erfordert dringend eine deutliche Verortung im Raum, in der Zeit und ihrem Sinnzusammenhang.
Das Filmmaterial, welches ich zur Zeit nutze, besteht aus digitalisierten super-8 Filmen aus familiären, also auch (auto-) biographischen Zusammenhängen. Der nicht nur formale sondern insbesondere auch der inhaltliche Miteinbezug der Zeitdimension (Transzendenz und Veränderung) öffnet theoretisch ein weites Spektrum an Möglichkeiten, welches ich bisher deutlich einschränke, indem ich mit 1:1 übernommenen, unbearbeiteten Filmen umgehe – einerseits aus purer Freude an ihrer Authentizität, andererseits, um dem, was ist, was existiert in seinen vor langer Zeit festgelegten Grenzen, seines dokumentarischen Grundcharakters nicht zu berauben und somit Fiktion (Bild) und Realität (Film) in einer fein austarierten Koexistenz zu vereinigen.