ROT

ROT ist Farbe.

ist Erde.
ist Pflanze.
ist Schnecke.
ist Laus.
ist Chemie.

ROT ist Zustand.

ist Blut.
ist Leben.
ist Hölle.
ist Feuer.
ist Energie.
ist Provokation.
ist Potenz.
ist Sexualität.
ist Licht.

ROT ist Bekenntnis.

ist Beschwörung.
ist Opfer
ist Ritual.
ist Macht.
ist Stärke.
ist Reichtum.
ist Aggression.
ist Gewalt.
ist Zerstörung.
ist Verführung.
ist Freiheit.
ist Leidenschaft.
ist Glut.
ist Erotik.
ist Liebe.

Rot ist verbindlich. Immer. Rot ist ambivalent. Und darin zeigt sich diese Farbe stets eindeutig; nie offenbart sie etwas Zögerliches oder gar den Wunsch, sich aus der Affäre zu ziehen. Entweder, oder.

Rot ist die Farbe der Handlung. Wo sie auftaucht, passiert. Wenn sie nicht lenkt, dirigiert, womöglich beherrscht oder kontrolliert, sich also ganz offen auf eine Konfrontation einlässt, dann ist ihre Wirkung eine stille, fast heimliche, stets jedoch verbunden mit derselben Unausweichlichkeit.

Rot braucht Platz. Rot nimmt. Rot gibt. Rot ist die Farbe der Materie. Die Nähe ist ihr Element. Hier zeigt sich ihre Realität, ihre greifbare Sinnlichkeit, ihre Kraft. Rot ist ein hochenergetischer, aber auch ein flüchtiger Moment. Rot verkörpert eine Bewegung in ihrem Ursprung, eine intensive Konzentration des Momentes, welcher mit Heftigkeit von innen nach außen drängt.

Wie nun umgehen mit einer Energie, die ihre größte Kraft im Kern besitzt und sich auf Grund der ihr vorgeschriebenen Richtung im Raum verliert? Überlassen wir die Farbe der Farbe, so verflüchtigt sie sich und lehrt uns, den Moment zu schätzen.
Wenn wir nun aber die Intensität des Momentes zu bewahren trachten, dann benötigt das Rot eine formende Hand, die nichts anderes tut, als seine auseinanderstrebenden Kräfte in sich zu binden. Die Farbe ist wildes Tier, die Form Dompteur.

Die Sehnsucht der formenden Hand ist es, eine ausgewogene und stabile Beziehung zwischen dem wilden Naturell der verschiedenartigsten Rottöne und der formenden Kraft herzustellen. Aber wie sieht eine ausgewogene Beziehung aus? Ja, ist es nicht sogar völlig egal, wie sie sich letztlich gestaltet, so lange das Herz der Farblichkeit im Inneren des Bildes schlägt, seinen pulsierenden Rhythmus durch die Adern des Bildkörpers schickt und seine innere und äußere Genugtuung darin findet, so, genau so zu existieren, wie es ist?

Und findet sich die Seele des Bildes nicht letztlich wieder in seiner ihm innewohnenden Kraft, die sich formuliert als ein inneres Strahlen, an dem wir teilnehmen können, die uns eine derartig formulierte Spannung anbietet, dass es eine Lust ist, mit dem Rot in seiner Vielschichtigkeit und seinen mannigfaltigen Gestalten Kontakt aufzunehmen und zu bemerken, dass es endlich doch nur wir selbst sind, die sich dort in irgendeinem Winkel oder im Ganzen entdecken.

(Dagmar Misselhorn, 2004)